Brainwave Special - Digitale Onkologie

May 7, 2021
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ONKOLOGIE SPECIAL

Quelle: Eigene Darstellung

Krebsdiagnose - der Schock

In Deutschland sind 2016 knapp eine halbe Millionen Menschen neu an Krebs erkrankt (RKI). Am häufigsten greifen die bösartigen Tumore dabei Brustdrüsen, Prostata, Dickdarm und die Lunge an. Die Überlebenschance ist u.a. stark abhängig vom Diagnosezeitpunkt und von der Art des Tumors. Die Überlebenschance im 5-Jahreszeitraum reicht von unter 20% bis über 90%.

Krebs ist sehr vielschichtig und der Krankheitsverlauf unterscheidet sich mitunter stark nach Krebstyp. Die Herausforderungen der Patient:innen starten dabei meist direkt mit der Diagnose. Der Schock muss verarbeitet werden und oft dauert es Wochen, bis Betroffene mit Fachärzten sprechen können. Die Patient:innen fallen in ein Loch und es entstehen Ängste, Unsicherheiten und Informationslücken.

Digitale Angebote - trotz vieler Möglichkeiten noch selten

Genau an diesem Punkt setzen Startups, wie Mika (s. Interview) oder PINK! (s. Startup-Vorstellung) an. Als digitale Assistenten können sie nicht nur passgenaue und qualifizierte Informationen liefern, sondern auch langfristig Unterstützung bieten durch Entspannungsübungen, Sportprogramme und Online-Communities, um Ängste zu mildern und Transparenz zu schaffen. Deshalb sehen wir das größte Potenzial für digitale Lösungen auch in der Therapiebegleitung und Nachsorge.

Neben der ohnehin schon beschwerlichen Therapie kommen häufig auch psycho-soziale Herausforderungen dazu, mit denen Patient:innen umgehen müssen. Gerade inmitten einer Pandemie können digitale Selbsthilfegruppen, Sport- und Bewegungsangebote eine wichtige Stütze bieten. Zudem sind Sport und Ernährung relevante Faktoren, um das Risiko einer Neuerkrankung langfristig zu verringern. Deshalb will die Uniklinik Mainz im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts junge Krebspatient:innen mit einer digitalen Sport-App zu mehr Bewegung animieren.

Leider stellen digitale Angebote in der Onkologie insgesamt noch eine Seltenheit auf dem deutschen Markt dar. Wir sehen Startup-Angebote primär in den Bereichen Therapiebegleitung, Entscheidungsunterstützung und PROMs (s. Marktübersicht) und denken, dass auch die Bereiche Vorsorge, Prävention und Screening in Zukunft von digitalen Angeboten profitieren können, um Krebserkrankungen besser vorbeugen und frühzeitig erkennen zu können.

Ausblick und Fazit

Wir erwarten, dass die kürzlich zertifizierten DiGAs Mika und CANKADO nur der Anfang sind, weil das Potenzial der digitalen Unterstützung bei Krebserkrankungen und anderen chronischen Erkrankungen sehr groß ist. Für mehr Infos zur DiGA haben wir uns bereits vor zwei Wochen ein ausführliches Zwischenfazit zu den DiGAs gezogen.

Wir begrüßen außerdem sehr, dass PROMs bereits so stark in der Onkologie vertreten sind und einen wertorientierten medizinischen Ansatz unterstützen. Hier zeigt sich, wie mit Value-Based Healthcare (VBHC) signifikante Effekte für die Behandlung und Lebensqualität der Patient:innen erzielt werden können. Auch kommen aktuelle Entwicklungen, wie die bundesweite Zusammenführung der regionalen Krebsregisterdaten, zum Tragen. Durch eine größere Datengrundlage, können Erkenntnisse gewonnen werden, die zu besseren individuellen Empfehlungen bei gleichzeitigem Monitoring führen können. Wie die Martini Klinik mit einem VBHC-Ansatz weltweiter Vorreiter in der Behandlung von Prostatakrebs wurde, haben wir Euch bereits in unserem VBHC Special gezeigt.

Letztlich stimmt uns auch der Blick in Richtung der Investoren positiv, denn anders als bspw. im FemTech-Markt, fließen bereits heute eine Menge Investorengelder in onkologische Digital-Health-Startups. Nach einer aktuellen Studie gingen in 2020 weltweit bereits 12% des gesamten Digital-Health Risikokapitals in Startups mit Fokus auf Krebserkrankungen.
Krebs ist eine sehr komplexe Krankheit, die jedes Jahr aufs neue sehr viele Menschen trifft und noch einiges an digitalem Potenzial birgt. Digitale Lösungen können natürlich keine medikamentöse Krebstherapie ersetzen, jedoch gibt es viele Möglichkeiten Versorgungslücken zu schließen und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern.

MARKTÜBERBLICK

Wir haben uns für Euch ein umfangreiches Bild über den Markt für digitale Angebote im onkologischen Bereich gemacht. Unsere Übersicht umfasst digitale Anwendungen von Startups und Institutionen des Gesundheitswesens, die bereits erkennbar auf dem deutschen Markt tätig sind.

Insgesamt lässt sich erkennen, dass der Patientenpfad durch die bestehenden digitalen Gesundheitsangebote nur begrenzt abgedeckt ist. Im Bereich der Therapie sehen wir die größte Marktreife an Startup-Angeboten. In allen anderen Bereichen sind App-Entwicklungen von klinischen Institutionen wesentlich stärker vertreten als Startups. Die Lösungen Mika und PINK! sind klare Vorreiter auf dem Gebiet der Therapiebegleitung. CANKADO, Heartbeat Medical und Kaiku fokussieren sich auf die Erfassung von Patient Reported Outcomes (PROMs).

Auch konnten wir einige Lösungen im Bereich von Entscheidungs-unterstützungssystemen (B2B) finden, diese liefern primär onkologische Leitlinien für Ärtz:innen. Als Vorreiter sehen wir hier die intelligente Lösung zur Interpretation von Brust-Screenings von Vara.

Auffällig ist außerdem, dass sich besonders innerhalb der Prävention und des Screenings Anwendungen, wie SkinVision, auf bestimmte Krebsarten wie Haut- und Brustkrebs spezialisieren.

Unter dem Bereich "Community" haben wir digitale Selbsthilfe-Angebote zusammengefasst, welche es Patient:innen sowie Angehörigen ermöglichen sich miteinander zu vernetzen und über das Erfahrene auszutauschen. Die Community-Funktion haben auch andere Anbieter aus den Bereichen Therapie und Nachsorge als Teilangebot integriert.

Insgesamt erwarten wir in den nächsten Jahren viele weitere digitale Angebote und auch DiGAs auf dem deutschen Markt in allen Bereichen entlang des onkologischen Patientenpfades.

Die deutsche Digital Health Onkologie Landschaft

Quelle: Brainwave Hub, Eigene Darstellung
Notiz: Unsere Auswahl zeigt vorrangig B2C-/B2B2C-Lösungen. Nur im Bereich der "Entscheidungsunterstützung" zeigen wir B2B-Lösungen (farblich gekennzeichnet).

STARTUP TO WATCH

Im Bereich der onkologischen Therapiebegleitung gibt es noch nicht viele etablierte Angebote. Deshalb möchten wir Euch mit PINK! ein junges Unternehmen vorstellen, dass es sich zur Aufgabe gemacht hat Brustkrebspatientinnen auf dem Weg ihrer Erkrankung zu begleiten.

Nachdem Brustkrebs bzw. ein Mammakarzinom festgestellt wurde, gibt es viele unterschiedliche Therapieansätze. Brustkrebs ist so vielfältig wie kaum eine andere Krebsart. Genau daher fällt es vielen Patientinnen schwer die Erkrankung und die damit verbundenen Untersuchungen und Behandlungen zu verstehen. Was bedeutet meine Diagnose für mich? Welche Operationsverfahren und Medikamente gibt es? Wie muss ich mein Verhalten ändern? Das sind nur einige der Fragen, die bei vielen Patientinnen aufkommen.

Eine kompetente und ganzheitliche Begleitung für Frauen mit Brustkrebs bietet das ärztlich geführte Online-Angebot von PINK!. Der vielseitige Therapie-Assistent begleitet Patientinnen und ihre Familienmitglieder durch die schwierige Zeit und stellt auf Basis der individuellen Krankheitsgeschichte personalisierte Informationen frei zur Verfügung. Jede Woche erscheint außerdem eine neue Podcast-Folge, in der sich Prof. Dr. Pia Wülfing mit ihrer ehemaligen Patientin Gabriele Kob unterhält und somit auf unterschiedliche Fragen eingehen kann. Prof. Dr. Pia Wülfing, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, beschäftigt sich seit 20 Jahren intensiv mit dem Thema Brustkrebs. In dem Podcast erklärt sie fachlich fundiert und mit Tipps & Tricks wie man mit der Diagnose Brustkrebs besser leben kann und fungiert somit als Mutmacher.

Eine psychoonkologische Mitbetreuung kann dazu beitragen, dass Patientinnen ihre Erkrankung und die Therapien besser bewältigen und mit den Belastungen umgehen können. Leider sind die Wartezeiten auf einen Therapieplatz oft lang. Für diese Zeit bietet PINK! ein psychologisches Online-Training an. Darin lernen Patientinnen verschiedene Übungen und Strategien kennen, um ihre Situation besser verstehen und bewältigen zu können. Zusätzlich gibt es auf der Website die PINK!-Community, zum Austausch mit anderen Betroffenen und das PINK!-Wallet, zur Organisation anfallender Dokumente.

Durch das vielseitige Angebot möchte PINK! erreichen, dass Patientinnen die Erkrankung und die Therapien besser bewältigen und mit den Belastungen umgehen können.
Wir können Euch außerdem verraten: Bald startet auch die PINK! Coaching-App, mit welcher Patientinnen begleitend zur Therapie und in der Nachsorge selbst aktiv werden können, für eine bessere Gesundheit und weniger Rückfälle. Patientinnen werden Tag für Tag in der App angeleitet, sich mehr zu bewegen, besser zu ernähren und etwas für ihre mentale Gesundheit zu tun.

INTERVIEW

Interview mit Gandolf Finke, dem Gründer von Mika/Fosanis GmbH


Gandolf Finke promovierte im Ingenieurswesen und ist seit 2017 Gründer der Fosanis GmbH, dem Startup hinter dem Krebs-Assistenten Mika. Die mittlerweile als DiGA gelistete App lindert u.a. die psychischen und psychosomatischen Folgen einer Krebserkrankung.

Brainwave: Die Mika-App begleitet Krebspatient:innen durch die Therapie und unterstützt sie mit praktischen Tipps, Expertenwissen zu Tumorerkrankungen und individuellen Empfehlungen zur Förderung ihrer Gesundheit und Lebensqualität. Was unterscheidet Mika dabei von anderen digitalen Begleitern im onkologischen Bereich?


Gandolf: Im onkologischen Bereich sind viele Apps funktional konzipiert und konzentrieren sich z.B. auf Sport und Bewegung oder auch speziell auf PROMs (Patient Reported Outcome Measures), um die Überlebensrate zu erhöhen und somit zu einem besseren Behandlungsergebnis zu führen.

Bei Mika sehen wir den Begleitansatz stärker aus der Patientenperspektive. Wir haben gesehen, dass es nicht immer nur die Krebstherapie selbst ist, die Menschen belastet, sondern ein Zusammenspiel aus vielen Faktoren, die häufig auch zu starken psychischen Belastungen führen. Wir glauben, niemand will eine App für Sport, eine für das Monitoring und eine für mentale Entspannung nutzen müssen. Deshalb versuchen wir verschiedene Tools in einer App als multimodales und personalisiertes Angebot zusammen zu bringen. Für die Personalisierung setzen wir deshalb auch einen starken Schwerpunkt auf Data Science.

Besonders wichtig ist für uns auch das Thema Empowerment. Hier sehen wir häufig den Druck auf Krebspatient:innen zur Entwicklung aus der Opferrolle, hin zum Kampf gegen den Krebs. Das macht es unserer Erfahrung nach auch einigen Menschen schwer, die sich einfach nicht stark fühlen oder stark sein wollen. Mika will deshalb einen Weg echter Empathie finden und Menschen auf dem Weg ihrer Erkrankung begleiten – egal wohin.

Brainwave: Der Ansatz von Mika ist sehr umfangreich und umfasst viele verschiedene Themen. Warum findet Ihr einen multimodalen Ansatz zur Begleitung von Krebspatient:innen wichtig?

Gandolf: Ein multimodaler Ansatz ist sehr wirkungsvoll, da jede:r Patient:in eine andere gesundheitliche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durchlebt und es so möglich ist, auf diese individuellen Voraussetzungen einzugehen. Nicht alles ist für jeden, zu jeder Zeit das Richtige. Wenn jedoch die Behandlungsphasen, Medikamente oder auch Formen der Krebserkrankung vorliegen, kann darauf aufbauend eine passende Therapiebegleitung erfolgen.

Beispielsweise sind zwar sehr umfangreiche und wichtige Informationen durch die „Blauen Ratgeber“ zugänglich, allerdings suchen viele Patienten gezielte Informationen zu ihrem bestimmten Krebs-Typ, an dem sie erkrankt sind. Zudem sind nicht alle Probleme indikationsbezogen und bewegen sich vielmehr um die Krankheit herum. Ganz häufig fehlt das soziale Umfeld - die Arbeit fällt weg, Freunde wissen nicht, wie sie helfen können und die Patient:innen wissen selbst nicht, wie sie Hilfe in Anspruch nehmen sollen. Auf diese, teils speziellen, Aspekte sollte geachtet werden und bei der Konzipierung einer optimalen Begleitung mit einfließen. Wir möchten mit unserer App die gesamte Situation der Patient:innen berücksichtigen. Das ist nicht zuletzt bei Langzeittherapien von besonderer Bedeutung und entspricht auch der klassischen Gesundheitsdefinition der WHO, die das Zusammenspiel von körperlichem, psychischem und sozialem Wohlbefinden betont. Diese Art der Personalisierung ist extrem wichtig und schafft die Basis für bestmögliche Therapieergebnisse.

Brainwave: Der Markt mit Apps für das Tracking und die Therapiebegleitung von Krebserkrankungen ist unserer Recherche nach sehr überschaubar. Wie nimmst Du den Markt wahr und wie wird sich der Markt Deiner Meinung nach in den nächsten Jahren entwickeln?

Gandolf: Ich denke es gibt mehr Angebote auf dem Markt als man vielleicht denkt. Viele Angebote kommen auch direkt von Seiten der Pharmaindustrie und sind mittlerweile schon wieder eingestellt oder gar nicht erst bekannt geworden. Auf dem Markt ist trotzdem noch reichlich Platz für Unternehmen, die sich neutral positionieren wollen und ich denke, dass es in Zukunft auch noch einige neue Anbieter geben wird, wovon sich einige vielleicht sogar als DiGA zertifizieren lassen. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass der Onkologie-Bereich eher "typische Gründer" abschreckt, weil Krebserkrankungen sehr komplex sind und mit vielen Emotionen einhergehen.

Mika ist mittlerweile etwa vier Jahre am Markt und seit neuestem sogar schon als DiGA zertifiziert. Wo seht Ihr Mika in der Zukunft und wie sehen Eure nächsten Schritte aus?

Gandolf: Unser Ziel ist es mit Mika einen gewissen Standard auf dem deutschen Markt zu etablieren. Einerseits möchten wir unsere App weiterentwickeln und andererseits möchten wir unsere Forschung weiter ausbauen, auch wenn wir schon einige klinische Studien zur Evidenz durchgeführt haben. Zukünftig möchten wir außerdem noch stärker auf die Krebstherapien eingehen. Beispielsweise bieten wir aktuell die Möglichkeit eine individuelle Mika-Version zu erstellen, die auf das klinische Profil eines bestimmten Medikaments eingeht. Generell bin ich der Meinung, dass es für weit verbreitete Medikamente eine Möglichkeit der Begleitung geben sollte.

Auch eine Expansion unseres Angebots in andere Länder ist in der nahen Zukunft eine mögliche Entwicklung. Im onkologischen Bereich gibt es länderübergreifend viele Überschneidungen und somit ein noch größeres Potential mehr Menschen zu erreichen und mit unserer Erfahrung zu unterstützen.

Brainwave: Ihr habt es geschafft als erste DiGA im Bereich onkologischer Erkrankungen anerkannt zu werden. Welche Chance seht ihr in der DiGA-Zertifizierung?

Gandolf: Generell wurde mit der Einführung der DiGA ein Meilenstein in Deutschland erreicht. Es gibt keinen Grund sich nicht von einem Therapie-Assistenten begleiten zu lassen, jedoch steht Deutschland noch stark am Anfang, wenn es um die Aufklärung von Ärzt:innen und Pflegepersonal geht. Trotzdem sehen wir die Zertifizierung als Chance in den engen Kontakt mit Behandlern zu treten und in die Verbreitung zu kommen. Mika ist schließlich eine gute Möglichkeit die Arzt-Patienten-Kommunikation zu unterstützen.

Mika gab es schon lange bevor DiGAs überhaupt im Gespräch waren und daher machen wir prinzipiell nichts anders als vorher. Allerdings verändert sich dadurch auch unsere zukünftige Produktentwicklung, da der Eintritt als DiGA auf dem Markt gewisse Pflichten mit sich bringt und zur Anpassung oder Veränderung von Mika Genehmigungen eingeholt bzw. neue Evidenzen präsentiert werden müssen. Mit Blick auf das große Ganze sind wir uns letztlich natürlich auch der Wichtigkeit und Verantwortung bewusst, allgemeine Aufklärungsarbeit in Sachen DiGA zu leisten und diese voranzutreiben.

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