Insolvenz vs. Millionenfunding

Jun 1, 2023
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iStock/ MJ_Prototype

BRAINWAVE INSIGHTS

Gemischte Gefühle in der Startup-Welt: Insolvenz und Millionenfunding

Es waren turbulente Wochen in der Digital Health Szene und nicht alle haben Grund zum Feiern. Die einen sammeln Funding in dreistelliger Millionenhöhe ein und die anderen müssen vorläufige Insolvenz anmelden. Die Rede ist von Patient21, den digitalen Arztpraxen und aidhere, dem Hersteller der DiGA zanadio.

Patient21 sammelt € 100 Millionen ein

Patient21 hat es sich zur Aufgabe gemacht, die ambulante Patientenreise in (Zahn-)Arztpraxen durch Digitalisierung zu verbessern. Das 2019 von Christopher Muhr und Nicolas Hantzsch gegründete Startup übernimmt und eröffnet Arztpraxen und stattet diese mit einer digitalen Infrastruktur aus (z.B. eigene Webseite, Apps und Praxismanagementsystemen). Zu Patient21 gehören mittlerweile 53 Praxen mit über 100 Ärzt:innen. Zu dem bisherigen Funding von insgesamt € 66,6 Mio. konnten die Gründer nun weitere € 100 Mio. in einer Series C einsammeln. Der Großteil der Summe soll in die Weiterentwicklung der Software gesteckt werden. Außerdem planen die Gründer eine Expansion in zwei neue europäische Märkte innerhalb der nächsten 12 Monate.

aidhere meldet vorläufige Insolvenz an

Nicht so erfreulich sind die vergangenen Wochen für aidhere gewesen. Der DiGA-Hersteller musste am 23. Mai einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen. Die DiGA zanadio basiert auf einer multimodalen Adipositastherapie und unterstützt Menschen mit Adipositas bei einer langfristigen Gewichtsreduktion. Die DiGA wurde im Oktober 2020 vorläufig ins Verzeichnis des BfArM aufgenommen und zählt damit zu den ersten DiGAs überhaupt. Im August 2022 wurde zanadio dauerhaft aufgenommen. Ab Mitte 2022 starteten dann die Verhandlungen zwischen Hersteller und GKV-SV für einen neuen Vergütungsbetrag für das zweite DiGA-Jahr. Da sich die Parteien nicht einigen konnten, setzte die Schiedsstelle den neuen Preis im Mai 2023 auf € 218 fest (> 50% Discount). Der Hersteller aidhere muss damit (rückwirkend ab Oktober 2021) eine Differenz von insgesamt ca. € 10,4 Mio. zurückzahlen. Die Höhe der Rückzahlung veranlasste aidhere zur Insolvenzanmeldung.

Brainwave Fazit: Die große Fundingsumme von Patient21 ist herausragend, da Investor:innen aktuell sehr zurückhaltend mit Digital Health Investments sind. Dies spricht aus unserer Sicht für eine besonders überzeugende Performance und KPIs des Unternehmens. Auch wenn ca. ein Drittel über Debt Financing und demnach nicht über frisches Eigenkapital aufgenommen wurde. Nach der Insolvenz des US-amerikanischen Players Pear Therapeutics ist die Insolvenz von aidhere eine bittere Pille für den deutschen DTx-Markt und verunsichert wieder Investoren. Wir warnen jedoch davor die aidhere Insolvenz als Paradebeispiel für DiGA-Preiskürzungen und einen weiteren Beweis für das Scheitern der DiGA zu sehen. Mit dem festgesetzten Preis bewegt sich zanadio im Korridor der meisten anderen verhandelten DiGA-Preise; mit einer so hohen Rückzahlung war also durchaus zu rechnen. Daher ist zu hinterfragen warum aidhere einen relevanten Teil der Einnahmen in dem besagten Zeitfenster nicht direkt in eine Rücklage gelegt hat. Hinzu kommt, dass aidhere bereits Mitte 2022 von der Rückzahlung wusste und weiterhin ihr Funding stark auf Wachstum ausgelegt hat. Aus unserer Sicht ist diese Insolvenz kein DiGA-Preissenkungs-Mahnprozess, sondern eher ein Hinterfragen der strategischen Entscheidungen des Managements. Schade für das eigentlich sehr erfolgreiche Unternehmen und wir sind uns sicher, dass ein neuer Investor/ Käufer das Asset "DiGA" weiterführen wird.

REGULARIEN

KHZG-Sanktionsvereinbarung wird Ende Juni erwartet

Die Umsetzungsfristen für Digitalisierungsprojekte im Rahmen des Krankenhauszukuftsgesetzes (KHZG) sind knapp bemessen. Schaffen es Häuser nicht, ihre Vorhaben innerhalb der gesetzlichen Frist umzusetzen, drohen Strafzahlungen i.H.v. bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) setzt sich für die Änderung der Fristkriterien ein. Mehr

gematik lässt FHIR-Verzeichnisdienst zu

FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resource) ist ein internationaler Standard, der einen interoperablen und digitalen Datenaustausch zwischen Softwaresystemen ermöglicht. Als erste Anwendung der Telematikinfrastruktur (TI) soll der TI-Messenger auf den FHIR-Verzeichnisdienst zugreifen können. Bestehende Anwendungen wie KIM oder die ePA werden vorerst nur auf FHIR synchronisiert und erst im Laufe der Zeit vollständig auf dem neuen Standard laufen. Mehr

PICK OF THE WEEK

Spotlight Gesundheit: DiGA und Patient-Reported Outcomes

Die Bertelsmann Stiftung hat ein 8-seitiges Impulspapier zum Thema digitale Gesundheitsanwendungen und Patient-Reported Outcomes (PROs) veröffentlicht.

Im Fokus steht das Leitbild der Patientenzentrierung. Durch PROs und PREs (Patient-Reported Experiences) kann die Perspektive von Patient:innen erfasst werden. Die Publikation beschreibt, inwieweit digitale Anwendungen PROs derzeit bei medizinischen Interventionen einsetzen und gibt einen Ausblick in Zukunft – hybride Versorgungsmodelle, die digitale und persönliche Leistungen intelligent verbinden.

PROs können vor während und nach Behandlungen eingesetzt werden. Abbildung 1 zeigt, für welche Zwecke sie zur Zeit in Deutschland genutzt werden.

Bildquelle: Bertelsmann Stiftung / Spotlight Gesundheit

Abschließend fassen die Autorinnen fünf Handlungsempfehlungen zusammen:

  1. Hybride Versorgungsmodele fördern
  2. Co-Kreation ermöglichen
  3. Mit chronischen Erkrankungen starten
  4. Standardisierung vorantreiben
  5. Qualitätssicherung weiterentwickeln

Zur Publikation gelangt Ihr hier.

Happy reading :)

Den gesamten Newsletter mit Presseschau und einem Überblick der Finanzierungsrunden im Digital Health Startup Markt findest Du hier.
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